Beim traditionellen Jahresempfang in der Hessischen Landesvertretung in Brüssel hat Ministerpräsident Boris Rhein in einer Grundsatzrede die großen Herausforderungen betont, vor denen Europa derzeit steht. Vor rund 400 Gästen aus Politik, Wirtschaft, Diplomatie und Gesellschaft, die der Einladung von Europaminister Manfred Pentz gefolgt waren, sagte der Regierungschef am Dienstagabend: „Die Zeit der Komfortzonen ist vorbei. Wir erleben eine globale Ordnung im Wandel. Die Fundamente unserer regelbasierten Weltordnung brechen Stück für Stück weg. Wenn wir es als EU nicht schaffen, unsere Ambitionen, globaler Akteur zu sein, ganz schnell in die Tat umzusetzen, werden wir den Anschluss verlieren. Deshalb ist die Frage der Handlungsfähigkeit keine bloß technische Frage, sie ist die Überlebensfrage für die Europäische Union, und an dieser Stelle müssen wir besser werden.“
Unter den Gästen in der hessischen Landesvertretung in Brüssel waren Botschafterinnen und Botschafter zahlreicher Staaten, außerdem ranghohe Vertreterinnen und Vertreter des Europäischen Parlaments, des Rates und der Europäischen Kommission sowie zahlreiche Gäste aus dem Hessischen Landtag, der Wirtschaft und den europäischen Regionen. Der Jahresempfang stand in diesem Jahr im Zeichen der Chancen und Herausforderungen Europas.
Ministerpräsident: Handlungsfähigkeit ist Europas Überlebensfrage
Ministerpräsident Rhein sagte weiter: „Die Grundlage für unsere Sicherheit, für unsere Verteidigungsfähigkeit und die Sicherung unseres Wohlstandes ist und bleibt der europäische Binnenmarkt. Hessen hat enorm davon profitiert. Rund 60 Prozent der Exporte Hessens gehen in den Binnenmarkt und sichern damit Arbeitsplätze in unserem Land. Doch wir müssen uns auch hier auf neue globale Entwicklungen einstellen. Europa muss mutiger werden und die Fusionskontrolle und das Wettbewerbsrecht neu denken. Nur wenn wir unseren Unternehmen Wachstum ermöglichen, können sich europäische Champions herausbilden, die im globalen Wettbewerb bestehen. Im Wettstreit der Systeme geht es am Ende auch um die Leistungsfähigkeit unserer Ökonomien, um den Zugang zu Rohstoffen und um globale Marktanteile.“
Europaminister zum EU-Haushalt: Wer die Regionen schwächt, schwächt Europa
Europaminister Manfred Pentz warb in seiner Rede für starke Regionen in einem starken Europa: „Europa darf kein fernes Brüsseler Konstrukt sein. Europa lebt in seinen Regionen und den Menschen vor Ort. Wer die Länder und die Regionen stärkt, der stärkt damit auch Europa – politisch, wirtschaftlich und demokratisch.“
„Deshalb“, so der Minister, „ist die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag für eine neue Struktur des EU-Haushaltes auch auf dem falschen Weg. Wer die Regionen schwächt, schwächt Europa in seiner Vielfalt. Haushaltsentscheidungen dürfen deshalb nicht auf der maximal höchsten politischen Ebene beschlossen werden, sondern in diese Entscheidungen müssen die Regionen eingebunden werden.“
Pentz: Bürokratieabbau effektivstes Mittel Wettbewerbsfähigkeit zu stärken
„Dies gilt im Übrigen grundsätzlich für die EU. Wer ein Regelwerk schafft, das in Deutschland zwischen 60 und 70 Prozent der Vorschriften beeinflusst, der muss auch ein offenes Ohr für die Betroffenen dieser Regelungen haben. Vieles, was sich in Brüsseler Büroräumen vielleicht ganz vernünftig anhört, führt in der Praxis zu bürokratischen Sumpfblüten“, sagte Manfred Pentz und verwies dabei auf die Green-Claims- und die Entwaldungsrichtlinie. „Mit dem Sounding Board haben wir deshalb ein Instrument geschaffen, diese praktischen Auswirkungen direkt schon bei der Entstehung von europäischen Vorschriften zu prüfen. Dabei gilt für uns ganz grundsätzlich: Lieber keine neue Regulierung als eine neue bürokratische Belastung für Unternehmen und Bürger. Dass die EU-Kommission mit der Green-Claims-Richtline erstmals einen geplanten Entwurf einer solchen unnötigen Belastung zurückgenommen hat, ist ein gutes Zeichen, dass Ursula von der Leyen und die gesamte EU-Kommission es mit dem Bürokratieabbau wirklich ernst meinen. Bürokratieabbau ist das preiswerteste und effektivste Mittel, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken“, betonte der Entbürokratisierungs- und Europaminister.
Stichwort Landesvertretung in Brüssel:
Bereits im Jahr 1989 wurde die Landesvertretung des Landes Hessens bei der Europäischen Union in Brüssel eingerichtet. Sie ist dem Bereich des Ministers für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales und Entbürokratisierung unterstellt. Hessen ist damit direkt dort präsent, wo entscheidende europäische Weichenstellungen vorgenommen werden, sodass die Landesregierung unmittelbar über Entwicklungen in den EU-Institutionen informiert werden kann.
Seit Mai 2013 ist die Vertretung im Mehr-Regionen-Haus in der Rue Montoyer 21 untergebracht – im Europaviertel Brüssels, nur wenige Gehminuten von Europäischem Parlament, EU-Kommission, dem Rat sowie dem Ausschuss der Regionen entfernt. Das moderne Gebäude beherbergt nicht nur die hessische Vertretung, sondern auch Vertretungen von Partnerregionen (Frankreichs Nouvelle-Aquitaine, Italiens Emilia-Romagna, Polens Wielkopolska) sowie von hessischen Institutionen, Regionen und Unternehmen, Hochschulen, Gewerkschaften, Kammern, Netzwerken und Verbänden – alles unter einem Dach für eine effektive Zusammenarbeit. Derzeit arbeiten 29 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Landesvertretung.